Mensch und Tier in der Bibel

wartet auf Überarbeitung

Mensch und Tier in der Bibel

Vom diakonischen Auftrag der Kirche an den Tieren

von Stefan Schwarz, Pfarrer in Thun-Strättligen

Lässt sich eine Ethik, die den Tieren eigene Rechte gegenüber dem Menschen zugesteht, biblisch begründen?

„Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde, uns ähnlich; sie sollen herrschen über die Fische im Meer und die Vögel des Himmels über das Vieh und alles Wild des Feldes und über alles Kriechende, das auf der Erde sich regt.“ (1. Mose 1,26)

Dieser bekannte und oft zitierte Satz scheint diese Frage schon von vornherein klar mit Nein zu beantworten. Zumindest hat er schon immer dafür herhalten müssen, den unbedingten Vorrang des Menschen vor allen anderen Geschöpfen Gottes zu begründen. Doch für eine theologisch verantwortetes Urteil können nicht einzelne Bibelstellen isoliert betrachtet werden. Und ebensowenig darf von der Wirkungsgeschichte einzelner Bibelstellen auf ihre eigentliche Bedeutung geschlossen werden. Es ist eine Zusammenschau der einzelnen Aussage über das Verhältnis von Mensch und Tier notwendig, und die Bibelstellen müssen in ihrem Zusammenhang verstanden werden.

Tatsächlich interessieren sich die Texte der Bibel zentral für den Menschen, genauer: für den Menschen vor Gott. Doch löst der biblische Anthropozentrismus den Menschen gerade nicht aus seinem Schöpfungszusammenhang heraus, sondern betrachtet ihn – wie alle anderen Kreaturen auch – primär als Geschöpf Gottes, siehe etwa:

Verlasset euch nicht auf Fürsten, nicht auf den Menschen, bei dem doch keine Hilfe ist. Fährt sein Odem aus, so kehrt er wieder zur Erde, und alsbald ist es aus mit seinen Plänen. (Ps. 146.3ff)

Wenn du dein Angesicht verbirgst, erschrecken sie; nimmst du ihren Odem hin, so verscheiden sie und werden wieder zu Staub. Sendest du deinen Odem aus, so werden sie geschaffen, und du erneust das Antlitz der Erde. (Psalm 104,29f

Der Mensch, vom Weibe geboren ist kurzen Lebens und voller Unruhe. Wie eine Blume geht er auf und welkt, schwindet dahin wie ein Schatten und hat nicht Bestand. Und über einem solchen hältst du dein Auge offen und ihn ziehst du vor dein Gericht? Wie könnte ein Reiner von Unreinen kommen? Auch nicht einer! (Hiob 14,1ff)

Ich dachte bei mir selbst: Der Menschenkinder wegen, sie zu prüfen, hat Gott es so gefügt, damit sie sehen, dass sie nicht mehr sind als das Tier. Denn das Geschick der Menschenkinder ist gleich dem Geschick des Tiers; ein Geschick haben sie beide. Wie dieses stirbt, so sterben auch jene, und einen Odem haben sie alle. Der Mensch hat vor dem Tier keinen Vorzug. Denn alle gehen an einen Ort; alle sind sie aus Staub geworden, und alle werden sie wieder zu Staub. Wer weiss, ob der Odem der Menschenkinder emporsteigt, der Odem des Tieres aber hinabfährt zur Erde? (Pred. 3,18 – 21)

Die Gemeinschaft aller Kreaturen als Geschöpfe Gottes ist daher die grundlegendste Aussage der Bibel, und von ihr aus müssen alle anderen Bibelstellen interpretiert werden. Damit denkt die Bibel – um einen modernen Begriff zu verwenden – zutiefst ökologisch!

Nach dem Zeugnis der Hebräischen Bibel, dem sogenannten Alten Testament, nimmt der Mensch innerhalb der Schöpfungsgemeinschaft zwar eine Sonderstellung ein: Er ist mit „Gottesbildlichkeit“ beschenkt. Hinter dem Begriff steht die altorientalische Vorstellung vom König als dem Stellvertreter Gottes auf Erden, allerdings mit der bedeutsamen israelitischen Modifikation, dass jeder Mensch vor Gott als sein Stellvertreter gemacht ist. Die Herrschaft des Menschen über die Tiere wird in 1. Mose 1,26 in Analogie zum Herrschen des israelitischen Königs gesehen, der in seinem Volk für das (Leben-)Recht aller zu sorgen hat. Diese Gottesbildlichkeit des Menschen ist aber nicht dadurch bestimmt, dass er von seinem Wesen her in einer Rangordnung der Geschöpfe „wertvoller“ wäre als die übrigen Geschöpfe Gottes. Der Mensch hat seine Würde (Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Weib schuf er sie. 1. Mose 1,27), aber auch jedes andere Lebewesen hat seine eigene Art und Würde (Die Erde liess sprossen junges Grün: Kraut, das Samen trägt nach seiner Art, und Bäume, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist, je nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war / Gott schuf die grossen Seetiere und alles, was da lebt und webt, wovon das Wasser wimmelt, und alle geflügelten Tiere, ein jegliches nach seiner Art. und Gott sah, dass es gut war / Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebende Wesen: Vieh, kriechende Tiere und Wild des Feldes, ein jegliches nach seiner Art! Und es geschah also. 1. Mose 1,12/21/24).

Krone der Schöpfung ist nicht der Mensch als letztes Geschaffenes, sondern Gottes schöpferisches Zur-Ruhe-Kommen: der Sabbat (1 Mose 2.1 – 3; Also wurden vollendet der Himmel und die Erde mit ihrem ganzen Heer. Und Gott vollendete am siebenten Tage sein Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebenten Tage von all seinem Werke, das er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn; denn an ihm hat Gott geruht von all seinem Werke, das er geschaffen und vollbracht hat!).

Deshalb hat der Mensch keinen Grund zur Überheblichkeit gegenüber seinen Mitgeschöpfen, sondern drückt eine Funktion aus: der Mensch ist in Auftrag genommen, durch den Dienst an seiner Mitschöpfung in seinem Dasein Gott auf der Erde erscheinen zu lassen, als dessen Stellvertreter (Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaue und bewahre. 1.Mose 2.15: Das hebräische Wort für „bebauen“ bedeutet ebenfalls „dienen“!).

Der biblische Realismus weiss, dass der Mensch der Aufgabe, die mit dieser Begabung verbunden ist, faktisch nicht nachkommt, seine Gottesbildlichkeit vielmehr pervertiert (er kann Gott nicht vertreten sondern ersetzt ihn, vgl. 1. Mose 3,5) und dadurch seiner Mitschöpfung zum Verderben wird: Wegen der „Sünde“ des Menschen ist der Erdboden verflucht (1. Mose 3,17 – 19), entsteht Feindschaft zwischen Mensch und Tier (1. Mose 3.15) und müssen Tiere ihr Leben lassen für den Menschen (1. Mose 3.21). Der „Sündenfall“ ist weder ein ethisches Programm (das soll der Mensch tun) noch ein historisches Datum (das hat der Mensch einmal getan), sondern mythologisch verdichtete Reflexion darüber, wie die Krisen der faktischen Welt zu allen Zeiten zustande kommen. Darum hofft die Hebräische Bibel auf den Neuen Menschen (z. B. Jeremias 31.33; Ez.36,26). Deshalb auch ist ihre Sicht eben anthropozentrisch! Zieht nämlich der Mensch mit seiner „Sünde“ seine ganze Mitschöpfung in Mitleidenschaft, so begründet die von der Bibel erhoffte Neuwerdung des Menschen umgekehrt auch Segen für die ganze Schöpfung.

Das Neue Testament ist das Zeugnis davon, dass dieser erhoffte neue Mensch in Jesus aus Nazareth erschienen ist. In seiner Person und in seinem Wirken ist er ausserdem „Symbol“ für Gottes Liebe zu seinen Geschöpfen überhaupt. So sagt etwa der bekannte Johannesprolog in mythologischer Sprache, dass der Grund der ganzen Schöpfung, nämlich die Liebe ihres Schöpfers zu ihr (der göttliche „Logos“), in Jesus Christus selber Geschöpf geworden ist (Johannes 1,1-18). Diese „Geschöpfwerdung Gottes“ bringt zum Ausdruck, dass die Schöpfung theologisch nicht von ihrem Schöpfer getrennt werden darf, dass Gott zu der Schöpfung – gerade in ihrem Leiden! – vielmehr in engster Beziehung steht. Geschöpfsein heisst nach diesem Verständnis von Gott, durch Gott und in Gott sein. Dadurch erhält also auch jedes Tier, vom Regenwurm bis zum Menschenaffen, unbedingten Eigenwert, Lebensrecht und Würde! Der Johannesprolog ist eine andere, nämlich von Christus her denkende Fassung des alttestamentlichen Schöpfungsberichts.

Wo nun wird diese sehr abstrakt anmutende Aussage erfahrbare Wirklichkeit? Im neuen Menschen! – zuerst in Jesus und dann in seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen: in seiner Gemeinde, welche ja sein Auferstehungsleib ist (vgl. z. B.. 1. Kor. 12,27): Jesus aus Nazareth hat auf Golgatha die Folgen der Verwerfung seiner Botschaft von der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung erlitten. Das Kreuz ist Symbol dafür. Aber seine Auferstehung an Ostern bedeutet nichts anderes, als dass der Mensch, der in der Kraft seines Geistes dazu bewegt wird, Gott in dieser Welt erscheinen lässt, so wie es eben seine ureigenste Aufgabe wäre (1. Mose 2,15). Dieser neue Mensch verhält sich ethisch, er dient dem Leben in all seinen Formen. So kann Albert Schweitzer schreiben: „Die Ehrfurcht vor dem Leben ist die ins Universelle erweiterte Ethik der Liebe. Sie ist die als denknotwendig erkannte Ethik Jesu.“ die jüdisch christliche Hoffnung auf eine Vollendung unserer Welt (z. B. die Vision des Propheten Jesaja in Jes. 11,1-10, welche die Wiederherstellung des Grabens zwischen Mensch und Tier in Aussicht stellt) ist daher aufs engste mit diesem neuen Mensch-Sein verknüpft (Röm. 8,19 – 23!).

Es lässt sich also – um zur Ausgangsfrage zurückzukommen – aufgrund der biblischen Tradition sehr wohl eine tierfreundliche Ethik begründen. mehr noch, christliche Ethik muss festhalten: Wo immer wir Menschen uns kraft unseres „Herrscheramtes“ gegenüber den Tieren aus Freiheit dazu entschliessen, das Leben unserer Mitgeschöpfe zu schonen und ihrem Leben statt dessen zur Entfaltung verhelfen, da wird ein Stück dessen Realität, was Jesus aus Nazareth als Reich Gottes in Aussicht gestellt hat, da wird praktiziert, was uns Christen und Christinnen laut Mk. 16.15 aufgetragen ist: „Gehet hin in alle Welt und verkündet das Evangelium aller Kreatur!“

Glauberger Schuldbekenntnis
Wir bekennen vor Gott dem Schöpfer der Tiere
und vor unseren Mitmenschen:

Wir haben als Christen versagt,
weil wir in unserem Glauben die Tiere vergessen haben.

Wir waren als Theologen nicht bereit,
lebensfeindliche Tendenzen in Naturwissenschaft und Philosophie
die Theologie der Schöpfung entgegenzuhalten.

Wir haben den diakonischen Auftrag Jesu verraten
und unseren geringsten Brüdern, den Tieren, nie gedient.

Wir hatten als Pfarrer Angst, Tieren in unseren
Kirchen und Gemeinden Raum zu geben.

Wir waren als Kirche taub für das Seufzen
der misshandelten und ausgebeuteten Kreatur.

(Glauberg, Frühjahr 1988)

aus „Reformiertes Gemeindeblatt Thun“, Juni 1997Mit der freundlichen Genehmigung von
Stefan Schwarz, Pfarrer in Thun-Strättligen, Obermattweg 3A, 3600 Thun, Schweiz