Vedanta

Vedanta – Das Ende des Wissens (Veda)

Die persönliche Auslegung macht ihn vollständig

Wir können feststellen, dass der Vedanta auf zwei völlig unterschiedliche Weisen ausgelegt wird:

  1. Unpersönlich (monistisch), im Sinne Shankaras Advaita-Vedanta.
  2. Persönlich (monotheistisch/theistisch), im Sinne der vier Vaishnava-Doktrins, nämlich:
    Shuddha-Advaita, die reine qualitative Einheit.
    Dvaita-Advaita, die gleichzeitige Einheit und Verschiedenheit.
    Vishishta-Advaita, wird leicht irreführend oftmals „qualifizierter Monismus“ genannt. Es bedeutet jedoch: Unterschiedslos und gleichzeitig mit qualifizierenden Bezeichnungen (Eigenschaften) benannt.
    Dvaita, Verschiedenheit, und zwar die Verschiedenheit zwischen Gott (Krishna, Vishnu), der Seele (Atman) und der Materie (Prakriti).

Die unpersönliche Lehre der Einheit (Advaita) wird von den vier Vaishnava-Schulen nicht als falsch, aber als unvollständig angesehen, weil in ihrer Wahrnehmung der Wahrheit (Tattva) die nicht-dualen und nicht-materiellen persönlichen Attribute fehlen.

Dies wird im Bhagavatapurana 1.2.11 näher veranschaulicht:

vadanti tat tattva-vidas tattvam yaj jñanam advayam, brahmeti paramatmeti bhagavan iti shabdyate
„Die Kenner der Wahrheit beschreiben die ewige Wahrheit, deren Wesen zweitlose (nicht-duale) reine Erkenntnis ist, als Brahman, Paramatman und Bhagavan, so wird es vernommen.“

Wenn es hier heißt, die absolute Wahrheit sei nicht-dual (advayam), bedeutet es nicht, dass es in ihr keine Unterschiede gibt. Deshalb benennt der Autor die Unterschiede in dieser nicht-dualen Wirklichkeit des Transzendenten als:

  • Brahman, die alldurchdringende und eigenschaftslose spirituelle Energie.
  • Paramatman, die Überseele, welche jeden Atman begleitet und in transzendenter Gestalt in allen Dingen gegenwärtig ist. Siehe hierzu auch das 13. Kapitel der Bhagavad Gita.
  • Bhagavan, der höchste Herr selbst, der jenseits der manifestierten Prakriti in seinem ewigen Reich Vaikuntha weilt.

Die Sinnfrage

Durch das alleinige Annehmen der Advaita-Vedanta-Lehre (ohne spirituelle Vielheit mit transzendenten Eigenschaften) ergeben sich einige Fragen.

  • Was für einen Grund sollte die eigenschaftslose Einheit (Brahman) haben, Vielheit zu erschaffen, wenn Einheit nicht nur das Ziel, sondern die alleinige Vollkommenheit darstellen soll?
  • Kann das Niedrige, das Unvollkommene (Materie, bzw. die in Materie verkörperten Atmans) etwas beinhalten, das im Höheren, im Vollkommenen, nicht enthalten ist? Mit anderen Worten: Wie könnte die eigenschaftslose Einheit des Brahman die Vielfältigkeit der Eigenschaften der Materie erzeugen, wenn es im Brahman selbst keine übergeordnete spirituelle Vielfalt geben würde?
Die erste Frage bildet gewissermaßen den Schlüssel zur Lösung

Das Brahman hat selbstverständlich keine materiellen Eigenschaften (Gunas) und keine vergängliche Vielheit, daher wird das Brahman als Nirguna bezeichnet, ohne Guna, ohne materielle Eigenschaften, ohne vergängliche Persönlichkeiten. (Diese Feststellung verleitet manch Studierenden leider dazu zu denken, das Brahman habe grundsätzlich keine Eigenschaften, keine Persönlichkeit und keine Vielfalt.)

Hätte aber das höchste Brahman (Parabrahman) keine spirituelle Persönlichkeit, keine ewig-spirituellen Eigenschaften und folglich auch keine spirituellen Wünsche, gäbe es rein gar nichts im Brahman, was irgendein Bedürfnis nach der Schöpfung, nach einer Vielfalt mit unzähligen Eigenschaften, zum Ausdruck bringen könnte. Es wäre auch absurd und unlogisch, eine Welt der Vielfalt zu kreieren, die potenziell extremes Leiden beinhaltet, wenn diese Vielfalt gleichzeitig als falsch und unwirklich erachtet wird (von den Vertretern der Einheitslehre), und das Ziel des Daseins nur darin besteht, wieder die Einheit zu verwirklichen, um das „eingebildete Leiden“ zu beenden.

Müsste das Vollkommene, das Unvollkommene erschaffen, nur um zu erkennen, dass das Unvollkommene voller Leiden ist und nur die Einheit des Vollkommenen wieder anzustreben ist, wäre dieses sogenannt Vollkommene absolut unintelligent, ja gewissermaßen dümmer als ein unwissendes Kind, welches nie für sich selbst eine Welt des Leidens kreieren würde.
Merkwürdigerweise gibt es Anhänger der Einheitslehre, welche das leidvolle Dasein als Lila (göttliches Spiel) bezeichnen, um die Manifestation der Prakriti (unser Kosmos) zu begründen. Auch hier stellt sich die unbeantwortete Frage: WER oder WAS in der Einheit des Brahman hat den Wunsch, ein solches „Spiel“ zu spielen, und WER oder WAS hat die Autorität und Macht, die materielle Energie zu manifestieren.
Auch die Sinnfrage stellt sich wieder von vorne: Wenn die Einheit die Vollkommenheit verkörpert, warum sollte die Einheit diese Vollkommenheit aufgeben? Es sei denn, die Einheit ohne Vielfalt ist nicht in sich selbst vollkommen und sucht die Abwechslung.

Der offensichtliche Mangel an Sinn und Logik löst sich auf, wenn das Absolute, die höchste Wahrheit (Tattva) als qualitative Einheit und gleichzeitig als erfüllt von individueller Verschiedenheit angenommen wird, wie es Ramanuja oder Chaitanya sehr ausführlich gelehrt haben.

Die Philosophie der unfassbaren gleichzeitigen Einheit und Verschiedenheit (acintya bheda-abheda-tattva) zieht sich wie ein unsichtbarer Faden durch meine Website.