Sadhana-Bhakti

Sadhana-Bhakti – Geregelte Bhakti

Der Adept, der neue Bhakta, praktiziert Sadhana-Bhakti, eine geordnete Disziplin, die viele Regeln beachtet. Diese Bhakti gilt als indirektes Dienen, bestimmt für diejenigen, die nicht mehr in Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Position und ihres Lebensstandes (gemäß dem Dharma) Bhakti darbringen, sondern in der vorgeschriebenen geregelten Weise dienen, um einmal in Zukunft zur Freude Krishnas wahre Premabhakti, frei aus dem Herzen sprudelnde Gottesliebe zu erhalten.1

Doch hier taucht die Frage auf, wie soll ein solcher Adept auf der ersten Stufe der reinen Bhakti sich zu all den Dingen in dieser Welt verhalten, all die Dinge, die er täglich erlebt und die zu erleben er gezwungen ist. Alles Dinge, die ihn verwirren können, so lange er noch nicht ein wahrhaft Gottliebender ist, ein Premabhakta.

Krishna erklärt in folgender Weise dem Bhakta die Art, wie er mit den Dingen der Welt umgehen soll:

„An meine vierarmige Gestalt mit Muschel, Feuerrad, Keule und Lotos in den vier Händen, an diese vollkommen stille Gestalt in allen Wesen, in der Sonne, dem Feuer, dem Priester (Brahmana), den Kühen, den Vaishnavas; in Äther, Wind, Wasser, Erde und in dem eigenen Selbst (Atman) soll er mit ganzer Klarheit denken und ihn, den Paramatman, verehren, wenn er ihnen Opfer darbringt. Die Opfer sind vedische Gebetsformeln; (Opfer) mit geklärter Butter; [Opfer in Form von] Gastfreundschaft [für die Menschen]; Gras und anderes Futter [für die Tiere]; echt freundschaftliches Willkommen heißen usw.; [Opfer sind auch] Denken an den Lebensatem; Mantras; Opferung von Wasser; Denken, dass der stille Zeuge, der Paramatman, in allen Wesen unparteiisch weilt.“
(Bha 11.11.42-46)

Klar und deutlich erklärt Krishna, dass es keineswegs Gottesdienst sei, den notleidenden Menschen und Tieren zu helfen und zu dienen, wie ein religiöser Mensch, der keine klare Erkenntnis hat, oft meinen mag. Nicht der Mensch, das Tier usw. sind der Gegenstand dienender Verehrung, nicht einmal der individuelle Atman in jedem der Wesen, der Atman, der durch Gottabgewandtheit in diese Formen der Maya geraten ist, sondern der davon verschiedene, unabhängige Paramatman, der über allen Atmans steht. Der Paramatman, der das klare Wissen (Rad), die wehrende Kraft (Keule), die Weisheit des ewigen Wortes (Muschel) und die Leichtigkeit des Spiels (Lotos), mit der er alles vollbringt, als Kennzeichen besitzt. Nicht dem Nächsten zu dienen, sondern dem in der Welt und in den Dingen und bei jedem Atman gegenwärtigen Paramatman zu dienen, ist in der Sadhana-Bhakti Gottesdienst.

Shri Krishna ist die Gestalt der unendlichen Lieblichkeit in Vraja-Goloka und er ist die Gestalt der Lieblichkeit mit Majestät verbunden in Dvaraka und er ist Gott der unendlichen Fülle der Majestät als Narayana in Vaikuntha. Krishna in jeder dieser drei Seinsweisen ist jedoch keineswegs in den Dingen der Welt, doch in seinem Teilaspekt als der weltzugewandte Gott, als Paramatman, ist er in allem, ohne davon berührt oder „verschmutzt“ zu werden. Diesen Paramatman, der höchste Atman über allen Atmans, der bei jedem individuellen Atman innerhalb der materiellen Schöpfung weilt und doch seine ewige Einheit behält, soll der Adept im Geist haben, wenn er vor den Dingen der Welt steht. Dieses Bewusstsein über den Paramatman soll ihn davor bewahren, die Welt und die verkörperten Wesen selbstsüchtig für sich auszubeuten. Die Erinnerung an den Paramatman, den stillen Zeugen und Beobachter, der durch seine bloße Gegenwart veranlasst, dass jeder erhält, was ihm entsprechend seinem Tun und Begehren in früheren Leben zusteht, ermöglicht dem Sadhana-Bhakta in der Welt der Maya zu leben und gleichzeitig überall das Wirken Gottes zu erkennen.

Bhakti wird nur von einem Bhakta und Prema nur von einem Premabhakta geschenkt, abgesehen von den seltenen Ausnahmefällen, da Gott selbst als Avatara in die Welt herab kommt und Bhakti, bzw. Prema verleiht.

In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die besondere Bedeutung des heiligen Namens hingewiesen, der sogar als Avatara des Kali-Yuga bezeichnet wird. Das vergehenlose (Aparadha-freie) Chanten des heiligen Namens, der nicht vom Herrn verschieden ist, besitzt die Kraft, den Gottgeweihten mit Prema zu segnen!

Krishna spricht zu Uddhava:

„Während die Gemeinschaft mit den Bhaktas bedeutet, dass man das Anhaften an allem anderen außer mir aufgibt und mich ganz und gar gefügig macht und festbindet [mit Liebe zu Krishna], vermögen das weder der Yoga der Erkenntnis vom Atman und Brahman [Jnana-Yoga], noch vom Paramatman und seiner Beziehung zum Atman und der Welt [das mystische Yoga-System], noch Erfüllung der religiösen Pflichten als Mensch [Dharma], Studium der Veden, Kasteiung des Körpers, Entsagung der Welt, Opfer mit vedischen Formeln, Anlegung von Gärten und Brunnen zum Wohl der Menschen und Tiere, auch nicht Fasten und Gelübde, nicht rituelle Opfer, nicht geheime Gebetsformeln, nicht Besuch der Pilgerorte und auch nicht harte Zügelung des Geistes und der Sinne.“
(Bha 11.12.1-3)

Die heimliche Bedeutung aller Wohltätigkeit, der Sinn aller Gastfreundschaft, aller Pilgerfahrten für den, der nach Bhakti strebt, ist es, mit Premabhaktas zusammenzutreffen.
Krishna zählt die Namen derer auf, die im Verlauf der Geschichte dieser Erde ohne jede besondere religiöse Disziplin, bloß durch das Zusammensein mit seinen Bhaktas oder mit ihm selbst, das höchste Ziel erreichten:

„Viele kamen in mein Reich, selbst solche, die nicht von sattvahafter Natur waren, sondern vom Guna Rajah und Tamah überwältigt waren […].“
„Alle diese Personen hatten weder die Schriften studiert, noch haben sie sich zu diesem Zweck großen Lehrern genähert, noch haben sie harte Gelübde gehalten oder Askese geübt. Nur durch die Berührung mit Premabhaktas kamen sie zu mir.“
(Bha 11.12.5-7)

Das Leitmotiv aller Sadhana-Bhakti ist «Zuflucht zu nehmen». Erst dadurch werden die vielen Vorschriften der Vorstufe, die oft auch der weiter fortgeschrittene Bhakta noch übt, mit innerem Leben erfüllt.
Das Zufluchtnehmen ist sechsfach aufgeteilt:

  1. Der Willensentschluss, das zu tun, was im Sinne Krishnas ist und ihn erfreut und deswegen auch im Sinne des eigenen Atman ist.
  2. Vollkommenes Aufgeben von dem, was dem vorher genannten entgegen steht.
  3. Die Überzeugung: Er wird mich erretten!
  4. Ihn erkennen und als den Erhalter erwählen.
  5. Sich selbst dem Willen des Höchsten unterordnen.
  6. Sich selbst nicht wichtig nehmen.

Das Samenkorn, aus dem der ganze Baum der Bhakti empor wächst, ist „Shraddha“, Vertrauen, Glaubenszuversicht, dass das Gottdienen der Sinn des Lebens sei. Diese Shraddha kann man nicht durch Wollen erwerben. Ihr Wesen ist göttliche Gnade, die durch einen Bhakta oder Gott selbst geschenkt wird.

Krishna erklärt:

„Ich, der ich den Gottgeweihten und Sadhus (den Heiligen) sehr lieb bin, werde durch unerschütterliches Vertrauen und hingebungsvollen Dienst erreicht. Dieses Bhakti-Yoga-System, das Schritt für Schritt die Anhaftung an mich vergrößert, reinigt selbst einen Menschen, der unter Hundeessern geboren wurde. Jeder kann durch den Vorgang des Bhakti-Yoga auf die spirituelle Ebene erhoben werden.“
(Bha 11.14.21)

Prahlada Maharaja erwähnt die neun Vorgänge des Bhakti-Yoga: hören, singen und lobpreisen, sich an Krishna erinnern, den Lotosfüßen des Herrn dienen, die Bildgestalt verehren, Gebete darbringen, sich als Diener des Herrn betrachten, Freundschaft mit ihm schließen und ihm alles (sein ganzes Wesen) hingeben.

Krishna-Chaitanya sagt:

„Der wichtigste von den neun Vorgängen des Bhakti-Yoga ist das ständige Singen und Verinnerlichen des heiligen Namens des Herrn. Wer den Namen singt und die Vergehen vermeidet, erlangt sehr leicht Liebe zu Gott [die von unschätzbarem Wert ist].“
(Cc 3.4.71)

Krishnadasa Kaviraja Goswami, der Verfasser des Chaitanya-Charitamrita, erklärt:

„Beim Singen des heiligen Namens Krishnas ist auf Vergehen (Aparadha) zu achten. Daher gerät jemand, der Vergehen begeht, nicht in Ekstase, wenn er Krishnas Namen singt oder spricht.“
(Cc 1.8.24)

„Wenn man den erhabenen heiligen Namen des Herrn immer wieder singt oder spricht und sich dennoch seine Liebe zum Höchsten nicht entwickelt und keine Tränen in den Augen erscheinen, ist es offensichtlich, dass wegen der Vergehen beim Chanten2 der Same von Krishnas heiligem Namen nicht sprießt.“
(Cc 1.8.29-30)

Die fortschreitende Wirkung des Feuers der echten Bhakti wird von Jiva Goswami in seinem Kommentar zum Bh.r.s. 1.1.25 mit den folgenden fünf Versen aus dem Bhagavatam erklärt:

„Die Persönlichkeit Gottes, Shri Krishna, der der Wohltäter des aufrichtigen Gottgeweihten (Bhaktas) ist, entfernt den Wunsch nach materiellem Genuss aus dem Herzen des Gottgeweihten, der sich an seinen Botschaften erfreut. Diese Botschaften sind in sich selbst tugendhaft, wenn sie richtig gehört und gesungen werden.“
(Bha 1.2.17)

Die Wünsche nach materiellem Genuss sind die im Herzen wuchernden Vasanas, die Lust- und Hasskeime aus vergangenen Leben, die unersättlich neue Lust begehren und die das, was die Lust stört, heftig abwehren. Die erste Wirkung des echten Feuers der Bhakti besteht in einer Reinigung des Herzens von diesen durch die Gunas genährten Triebe. Shraddha (Vertrauen) in die Worte eines echten Bhakti-Lehrers setzt ein. Es entsteht der Wunsch nach Gemeinschaft mit wirklichen Bhaktas (Sadhu-Sanga) und der Lehrer weist den Schüler an, eine bestimmte Form des Gottesdienstes als tägliche Disziplin zu üben (im gegenwärtigen Zeitalter, Kali-Yuga, gilt als grundlegende Disziplin das Singen der heiligen Namen Gottes, Harinama-Sankirtana).

„Wenn man regelmäßig aus dem Bhagavatam hört und dem reinen Bhakta dient, wird alles, was für das Herz leidvoll ist, fast gänzlich vernichtet, und liebevoller Dienst für den glorreichen Herrn, der mit transzendenten Liedern gepriesen wird, wird zu einer unwiderruflichen Tatsache (naishtiki).“
(Bha 1.2.18)

Das ist die zweite Wirkung des Feuers der echten Bhakti. Die Stufe Nishtha ist erreicht. Sie bedeutet Ausdauer, Nicht-mehr-Wanken, einspitzige Zielsetzung (auf Krishna), einen unumstößlichen Willensentschluss. Der Bhakta selbst ist sich dieser Nishtha bewusst.

„Sobald der unwiderrufliche liebevolle Dienst im Herzen erwacht ist, weichen die Auswirkungen der Erscheinungsweisen (Gunas) der Leidenschaft (Rajah) und Unwissenheit (Tamah), wie Lust, materielle Wünsche und Verlangen, aus dem Herzen. Dann ist der Bhakta in reiner (spiritueller) Tugend verankert und wird glücklich.“
(Bha 1.2.19)

Das ist die dritte Wirkung des Feuers der echten Bhakti. Eliminierung der Gunas der Maya. Das Bewusstsein und das Unterbewusstsein tauchen ein in die Svarupa-Shakti Gottes und dadurch erwirbt man die theoretische Fähigkeit zur Begegnung mit Krishna. Die Stufe „Asakti“, Anhangen, ist erreicht. Das Anhangen oder Anhaften an der Welt (und ihren Sinnesobjekten) erlischt und es manifestiert sich das Anhangen am Zentrum allen Seins (Krishna). Der Bhakta ist sich dieser Asakti nicht bewusst, sie ist ihm zur zweiten Natur geworden.

„So belebt, entsteht in demjenigen, dessen Herz gestillt (durch Krishna) und frei von Anhaftung (an Maya) ist, aufgrund von Bhakti-Yoga zu Krishna, die Erfahrung seines Wesens.“
(Bha 1.2.20)

Das ist die vierte Wirkung des Feuers der echten Bhakti. Die Stufe der Prema-bhakti ist erreicht. Die Erfahrung von Gottes Wesen kann das Erkennen (unmittelbares Wahrnehmen) seiner Majestät als „Gott der Allmacht“ oder „seiner göttlichen Lieblichkeit“ sein.

„Der ‚Knoten des Herzens‘ löst sich auf, alle Unklarheiten (und Zweifel) sind beseitigt und auch seine Karmas (Reaktionen auf sein Tun) finden ein Ende, wenn im Atman Gott erfahren wurde.“
(Bha 1.2.21)

Das ist die fünfte Wirkung des Feuers der echten Bhakti. Es ist nicht das Ziel, denn das Ziel ist Dienst und Liebe (Prema) zu Gott, sondern es ist eine Begleiterscheinung: die direkte Begegnung mit Gott. Der „Knoten des Herzens“, der sich aufgelöst hat, ist das Ahankara, das durch die große Maya bewirkte illusionäre Ich-Bewusstsein, das bisher den Atman denken ließ, er sei die fein- und grobstoffliche Hülle.

Es ist eine wundersame Fügung, veranlasst durch ganz besondere Barmherzigkeit Gottes oder ein starkes Streben nach echter Bhakti in einem vergangenen Dasein, wenn ein Neuling in einem Leben die in den beiden letzten Versen angedeutete Stufe der Premabhakti oder auch nur das Morgenrot der Premabhakti (Rati) erreicht. Meistens führt ein Bhakta-Leben höchstens zu Asakti (starkes Anhaften an Gott), dem spontanen Gefallenfinden am Singen der heiligen Namen Gottes, am Durchdenken und im Sinnbehalten der Bedeutung der Namen und des ewigen Reiches und auch der ewigen Gestalten des EINEN und Seiner Lila auf Erden.

Im zukünftigen Leben wird der Bhakta, das heißt, der ewige vom an Materie Anhaften freie Atman, sehr rasch wieder die Stufe der Asakti erreichen und dann weiter zu einer neuen Dimension der Bhakti aufsteigen, die sich „Priti“, „Bhava-Bhakti“ oder „Rati“ nennt.

Krishnadasa Kaviraja schreibt:

„Krishna bietet dem Bhakta, auf dessen Wunsch, sofort materiellen Genuss oder sogar Befreiung (Mukti). Doch er gibt nicht zu jeder Zeit Premabhakti, diese hält er versteckt. Aber Shri Chaitanya hat solche Liebe zu Krishna überall verteilt. Sogar Jagai und Madhai3 erhielten diesen Segen, von anderen braucht man gar nicht zu sprechen. Er ist als der höchste Herr völlig unabhängig. Daher verteilte Shri Chaitanya Mahaprabhu, ohne äußerliche Dinge in Betracht zu ziehen, diesen Nektar der Liebe (zu Shri Krishna), obwohl sie eine höchst vertraulich bewahrte Segnung ist. Noch heute kann man sehen, dass jeder, der Shri Krishna-Chaitanyas Namen nimmt, von Liebe zu Gott (Krishna) überwältigt wird, und Tränen erfüllen seine Augen.“
(Cc 1.8.18+20-22)


1 Diese Sadhana-bhakti kennzeichnet sich durch die Motivation, reine Liebe zu Gott zu erlangen. Es ist kein „Gottdienen“ mehr, das aufgrund von Lebensstand oder gesellschaftlicher Position als notwendig oder als Pflicht erscheint und es ist frei von der Absicht, vergängliche materielle Vorteile als Lohn zu erhalten. Sadhana-Bhakti ist das freiwillige akzeptieren von Regeln, die nicht schwer zu befolgen sind, die dem Adepten helfen sollen, seine reine spontane Zuneigung und Liebe zu Gott zu erwecken. Narada Muni erwähnt sie gegenüber König Yudhishtira:

„Mein lieber König, man muss seinen Geist (Manah) auf irgendeine Weise immer auf Krishna richten!“
(Bha 7.1.32)

2 Singen, Sprechen oder Flüstern; vom engl. „to chant“.

3 Zwei Brüder, die aus einer geachteten Brahmana-Familie stammten, sich aber als Fleischesser, Trunkenbolde, Schürzenjäger, Räuber und Diebe einen unrühmlichen Namen gemacht hatten. – Erzählt im 5. Kapitel von Gaurangas Bhakti-Lehre.