Gott und Allmacht

wartet auf Überarbeitung

Ein „Streitgespräch“

Gaurahari:
In unserer Erfahrungswelt ist Macht immer in Verbindung zu jemandem zu finden. Es ist immer eine Person, welche Macht besitzt oder Macht ausübt. Macht steht eigentlich nie für sich selbst, sondern wird immer in Verbindung zu jemand oder etwas wahrgenommen.
Was wäre also das Attribut Allmacht, wenn niemand da wäre, dem sie eigen ist und der sie nutzen könnte?

Frage/Einwand:
Man darf nicht den Fehler begehen, Macht und Allmacht zu verwechseln. Ein jemand/etwas das Macht besitzt, ist im Gegensatz zur Allmacht, nicht widersprüchlich.

Nun, ich verstehe unter Allmacht, eine durch nichts zu behindernde Wirkmacht.
Daher ist Macht in gewissem Sinne mit der Allmacht verwandt, obschon vielleicht nur wie das Licht eines Glühwürmchens im Vergleich zum Licht der Sonne. So sehe ich diese nicht zu behindernde Wirkmacht als eine Kraft Gottes, der sie benutzen kann – beispielsweise durch die Manifestation des uns sichtbaren und unsichtbaren Kosmos.

Aber wie ich Deiner Bemerkung entnehme, verstehst Du unter Allmacht etwas anderes, weshalb Du Allmacht als etwas isoliert Dastehendes betrachtest.

Nur ist das nicht möglich, da sich diese Macht selbst im Wege stehen kann. Damit ist eine ‚durch nichts zu behindernde Wirkmacht‘ logisch nicht möglich.

Welche Logik? Wenn Gott einen Wunsch hat, kann dieser aufgrund seiner ihm eigenen Allmacht von niemandem behindert werden. Er kann alles tun, was er will. Weshalb sollte seine Allmacht irgendwie beschnitten oder begrenzt sein, nur weil er bestimmte Dinge nicht tun möchte?
Sollte etwa die Allmacht, welche untrennbar mit ihm verbunden ist, seine Wünsche ignorieren? Nein! Daher ist eine durch nichts zu behindernde Wirkmacht, die Gott eigen ist (eben seine Allmacht, alles zu tun, was er will), absolut logisch nachvollziehbar, weil diese Macht – genau betrachtet – Gottes Wunschvollstrecker ist.
Er kann tun und lassen was er will und dies kann durch nichts und niemanden behindert werden. Das ist Gottes Allmacht. Diese Allmacht ist Ausdruck seiner unbegrenzten Willenskraft und als solche vollzieht sie seine Wünsche. Etwas anderes widerspräche sowohl der Logik als auch unserem begrenztem Erfahrungsbereich.

Es ist kein logischer Einwand, die Allmacht Gottes zu verneinen, weil sie sich ihm (imaginärerweise) entgegenstellen könnte (als ob die Allmacht eine von Gott unabhängige Persönlichkeit mit Willensausdruck besässe).

Ich versucht es noch einmal zu verdeutlichen.
1. Gott handelt im Widerspruch
2. Gott könnte den Widerspruch auflösen
3. Gott möchte aber nicht diesen Widerspruch auflösen sondern ihn beibehalten

Wie kann Gott einen Widerspruch umgehen, den er nicht auflösen will?
Damit haben wir den entscheidenden Punkt getroffen: Macht ist immer _ein_ ‚Wille‘
Damit ist klar: Gott ist seine eigene Beschränkung.

1. Das sind rein hypothetische, nicht näher konkretisierte Konstrukte deinerseits. Das könnte Gott wohl knapp ein Lächeln abringen.
2. Wenn Gott uneingeschränkte Wirkmacht innewohnt, wird Gott nicht durch seinen Willen beschränkt, sondern sein Wille ist eben diese Wirkmacht. So steht es ihm frei, deinen begrenzten Vorstellungen zu entsprechen oder nicht.
3. Ob er einen scheinbaren Widerspruch auflösen will oder nicht, begrenzt nicht seine potentielle uneinschränkbare Wirkmacht. Wenn wir das Gewehr eines Soldaten als seine Wirkmacht definieren und dieser Soldat gerade einen Mann (im Krieg) erschiessen will, aber in diesem Augenblick ein Kind erscheint und die Hand des Mannes ergreift, und daher der Soldat stoppt, ist seine Wirkmacht nicht begrenzt worden (nur weil er den Mann erschiessen wollte), sondern zeigt nur an, dass diese Wirkmacht seinem persönlichen Willen untersteht. Obschon sie nicht eingesetzt wird, ist sie immer (in Form des Gewehres) beim Soldaten vorhanden.

Oder auch: er kann sich nicht verfielfältigen,
oder auch: es kann nur einen geben.

Auch dies ist nur ein Widerspruch für unseren Verstand.
Das Bhagavatam beschreibt beispielsweise, dass sich Krishna vor ca. 5000 Jahren in Dvaraka täglich in 16’108 verschiedene Gestalten vervielfältigte und am Morgen diese Erweiterungen seiner selbst wieder in sich zurückzog.

Das ewige Reich Gottes wäre sehr arm dran, könnte sich Gott nicht unbegrenzt vervielfältigen, um ganz entsprechend den Wünschen der ihn liebenden Geweihten, mit jedem von ihnen eine individuelle und persönliche Beziehung einzugehen.
Gott ist Einer, der sich in viele erweitern kann und trotzdem Einer bleibt. Das mag für deinen Verstand bereits wieder ein Widerspruch sein. Doch er selbst hat dies auf diese Art und Weise vor rund 3150 Jahren v.Chr. persönlich vorgelebt (wie die entsprechenden Sanskrit-Texte, die Veden, im 10. Buch des Srimad Bhagavatam aufzeigen).

Dass Macht einen Willen impliziert, ist selbstverständlich, es sei denn, man definiert ‚Macht‘ neu.
Nimmt man aber die ‚Allmacht‘, so muss die Betonung auf einen Willen liegen. Soll heissen: Dieser Wille muss klar definiert sein und sich selbst nicht widersprechen.

Gott besitzt sicherlich einen Willen, der sich selbst nicht widerspricht. Ebenfalls ist Gott in der Lage, diesen Willen klar zu definieren.
Widersprüche entstehen doch nur in unseren Köpfen, welche durch ihre Begrenztheit sowieso nie in der Lage sind, Gottes Willen oder seine Allmacht umfassend oder auch nur annähernd zu begreifen. Das Begrenzte (die Lebewesen) können das Unbegrenzte (Gott und seine ihm eigenen Kräfte) nie erfassen und gänzlich verstehen.
Es mag interessant sein, darüber zu spekulieren, doch es wird immer eine Spekulation bleiben.

Nimmt man jedoch an, dass das Unbegrenzte (Gott) sich sehr wohl dem Begrenzten ganz nach belieben offenbaren kann, dann kann man, theoretisch betrachtet, nur aus solchen Offenbarungen, Wissen über ihn erhalten. Der Skeptiker wird dies natürlich auch als Spekulation betrachten, was ich problemlos nachvollziehen kann, aber andererseits bleiben, ohne das Vertrauen, dass er sich zugänglich machen kann, alle unsere intellektuellen Anstrengungen, ihn zu erfassen, sowieso auf der Ebene von Spekulation hängen.
Und es gibt keinen vernünftigen Grund, dem unbegrenzten Herrn die Fähigkeit abzusprechen, sich dem begrenzten Lebewesen offenbaren zu können.

Kann sich Gott für immer entmachten?
Wenn ja, so ist seine Macht auf den Augenblick beschränkt und kann damit keine Allmacht sein.
Wenn nein, so ist seine Macht ebenfalls beschränkt und damit nicht Allmächtig.

Das sind nette (aber in meinen Augen nutzlose) Gedankenspiele, die seiner Allmacht keinen Abbruch tun.
Trotzdem: Auch für dieses scheinbare Paradoxon geben die Veden eine Lösung.
Jede einzelne der unzähligen Seelen (Atmas) ist eine winzige Erweiterung Krishnas (Gottes). Salopp gesagt: Wir alle (die dem Körper Leben verleihenden Seelen) sind Mini-Mini-Mini-Götter, auf unvorstellbare Weise eins mit Gott und doch für ewig von ihm verschieden (acintya-beddha-abeddha-tattva). So ist er einerseits allmächtig und gleichzeitig machtlos seinen eigenen Gesetzen unterstellt. Zudem steht es ihm frei, die winzige Seele jederzeit mit seiner eigenen Macht (in beliebigem Ausmass) zu erfüllen.
Dies ist eigentlich ein sehr schwieriges philosophisches Thema und wird daher als acintyabezeichnet, dem menschlichen Intellekt nicht fassbar. Es gehört in den unbegrenzten Bereich der spirituellen Welt (vaikuntha), der sich „jenseits“ des bemessbaren materiellen Raums (prakrti) befindet.

Du könntest ebenso etwas aus der Bibel zitieren, oder aus den Geschichten Indianischer Legenden, oder aus dem Pali-Kanon der Buddhisten. Aber das bringt uns letztendlich nicht weiter.

Das offene Studium aller offenbarten Schriften wird uns mehr über Gott, Allmacht und Seele usw. vermitteln – wenn vielleicht auch mit einigen Missverständnissen versetzt – als unsere Kapazität, über diese Dinge zu spekulieren.
Unser begrenzter Verstand ist nicht in der Lage, sich aus eigener Kraft dem Unbegrenzten zu nähern. Wenn aber das Unbegrenzte (Gott) auch nur das geringste Interesse an uns hat – und mir scheint es so zu sein; wozu sonst dieses Universum(?) – wird uns logischerweise dieses Unbegrenzte in irgendeiner Form Hilfe zukommen lassen.
Ich persönlich betrachte es daher als sinnvoller, diese Hilfe zu suchen und ausfindig zu machen, als in einem von Anfang an zum Scheitern verurteiltem Unterfangen, endlos über das Unbegrenzte zu spekulieren.
Aufgrund unserer eigenen sinnlichen Wahrnehmungs-Begrenztheit, verstehen wir ja nicht mal unseren eigenen Körper vollständig, vom Universum ganz zu schweigen. Aber gleichzeitig bilden wir uns tollkühn ein, wir wären in der Lage, das Unbegrenzte (Gott und die spirituelle Welt) mit unserem Intellekt zu fassen und auf den Seziertisch unseres wissenschaftlich geschulten Verstandes zu zerren. Mit solchen Versuchen könnte man glatt Millionen von Geburten verschwenden und man wäre trotzdem in jedem neuen Körper wieder am gleichen Ausgangspunkt.

Die Veden offenbaren, dass es nur ein Mittel gibt, mit dem man Gott fesseln kann: Mit Krishna-Prema, vollkommene, von Ego-Motivationen befreite Liebe zu Gott. Und ja, ich weiss: Für uns Egozentriker ist das eine sehr harte Nuss.

Diese ‚Betrachtungsweise‘ der Bhaktas tangiert nicht das Problem der Allmacht, da man durch die ‚Vervielfältigung‘ Krishnas nicht auf Allmacht, sondern auf schlichte Macht stösst, wie gross diese auch in ihrer Beschränkung sein mag. Eine Allmacht ist dadurch nicht gekennzeichnet, nur eine Macht, mit nicht bekannten Grenzen.

Bitte versteh mich nicht falsch, doch du bist gar nicht befähigt die Allmacht Gottes zu sehen, selbst wenn sie vor dir erscheint, weil du wegen deinen beschränkten Wahrnehmungsfähigkeiten lediglich einen Bruchteil davon erfassen könntest. Du wärest wie Arjuna auf Krishnas Hilfe angewiesen. Deshalb ist Dein Anspruch, eine Demonstration der Allmacht Gottes gezeigt zu bekommen (um daran glauben zu können), schlicht gesagt, etwas naiv.
Betrachtet man die Beschreibung der universalen Form Gottes in der Gita, ist man schon als Leser durch seine eigene Vorstellungskraft beschränkt. Sanjaya spricht:
„Wenn hunderttausende von Sonnen gleichzeitig am Himmel aufstiegen, gliche ihr strahlender Glanz vielleicht dem Glanz der höchsten Person in jener universalen Form.“ (Bhagavad-Gita 11.12)
Hier zeigt sich schon der Mangel an passenden Worten, etwas schier unbeschreibliches in Worte zu fassen. Und können wir uns nur ansatzweise vorstellen, wie hunderttausende von Sonnen strahlen würden? Und all das ist bloss ein Aspekt seiner grenzenlosen Macht im Kosmos.
Schon vorher sagte Krsna zu Arjuna:
„…Meine göttlichen Manifestationen haben kein Ende. Was ich dir beschrieben habe, ist nur ein kleiner Hinweis auf meine unendlichen Füllen. Wisse, dass alle majestätischen, schönen und herrlichen Schöpfungen nur einem Funken meiner Pracht entspringen. Doch wozu, oh Arjuna, ist all dieses detaillierte Wissen notwendig? Mit einem einzigen Bruchteil meinerselbst durchdringe und erhalte ich das gesamte Universum.“ (Bhagavad-Gita 10.40-42)

Aber ohne Vertrauen, dass sich Gott selbst offenbaren kann und dies auch tut, bleibt man seiner eigenen begrenzten Vorstellungs- und Wahrnehmungsfähigkeit unterworfen.
Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch sollte man sich seine Beschränktheit eingestehen und sich nicht einreden, man wäre befähigt, Gott und seine Allmacht auf den Seziertisch des eigenen beschränkten Verstandes zu zerren.