Brahman – Paramatman – Bhagavan

Drei Aspekte der nichtdualen ewigen Wahrheit

Das Brahman

 Das Brahman befindet sich jenseits von Raum und Zeit und doch durchdringt es auch die gesamte materielle Energie (Prakriti, Maya-Shakti). Das Brahman ist durchdrungen von ewigem Sein (Sat), reiner Erkenntnis (Cit) und Glückseligkeit (Ananda). Die Kraft oder Energie (Shakti) ruht in einem passiven Zustand der Unterschiedslosigkeit.
 
Dieses Brahman ist der transzendente Lichtglanz, welcher vom höchsten Herrn ausstrahlt, weshalb er auch Brahmajyoti genannt wird. Diese Ausstrahlung beinhaltet die marginale Energie (Tata-stha-Shakti). Jedes Lichtpartikel dieser Energie Gottes ist eine ewige Geistesseele (Atman), die völlig passiv und selbstvergessen Glück (Ananda) genießt.
 
„Das Brahmajyoti, die unpersönliche Ebene der Existenz, die sich zwischen der materiellen und der spirituellen Ebene befindet, ist der Ursprung unzähliger Seelen (Jivas), winziger spiritueller Teilchen ohne unterscheidbare Wesensmerkmale. Die Strahlen, die vom transzendenten Körper des höchsten Herrn ausgehen, werden als Brahmajyoti bezeichnet, und ein Lichtfunke eines solchen Strahles ist eine Jiva. Die einzelne Seele (Jiva) ist nur ein winziges Atom in diesem Strahlenmeer und das Brahmajyoti selbst besteht aus unendlich vielen solcher Jiva-Atome.“
(Swami B. R. Shridhara, „Auf der Suche nach Govinda – die wunderschöne Wirklichkeit“, S. 48)
Jiva wird hier im Sinne eines passiven Atman verwendet und nicht im Sinne eines durch die Maya-Shakti verkörperten Atman.
 
Obschon das Brahman aus einer unendlichen Zahl individueller Seelen (Atmans) besteht, wird es als die unpersönliche Ausstrahlung Gottes (Bhagavan, Krishna) beschrieben. Denn aufgrund des passiven Zustandes der Atmans gibt es trotz ihrer ewigen Individualität keine Entfaltung individueller Merkmale und Eigenschaften. Der Atman befindet sich hier gewissermaßen in einem passiv-neutralen Zustand, in dem er weder Gott noch seiner äußeren Energie (Maya-Shakti) aktiv zugewandt ist.
 

Dieser Lichtglanz Gottes ist auf unfassbare Weise mit Krishna eins und gleichzeitig doch von ihm verschieden (acintya-bheda-abheda-tattva).

 

Der Paramatman – Die Überseele

 Auch der Paramatman ist unbegrenzt von Raum und Zeit. Zum Wesen des ewigen Seins (Sat), der reinen Erkenntnis (Cit) und Glückseligkeit (Ananda) kommt die aktive transzendente Form oder Gestalt (Vigraha) hinzu. Er ist den Welten der Maya-Shakti zugewendet, aber dennoch völlig unabhängig von ihr. In seiner göttlichen Gestalt befindet er sich in allen Atomen und in allen Dingen. Daher wird er auch Vishnu genannt, was so viel bedeutet wie „der Alldurchdringende“. Diese alldurchdringende Form Gottes ist eine Erweiterung von Maha-Vishnu, die allein in der manifestierten Prakriti agiert.
 
„Überall sind seine Hände und Beine, seine Augen, Köpfe und Gesichter, und überall sind seine Ohren. Auf diese Weise existiert der Paramatman, der alles durchdringt.“
(Bg 13.14)
 
„Wer sieht, dass die Überseele (Paramatman) die individuelle Seele (Atman) in allen Körpern begleitet, und versteht, dass weder die Seele noch die Überseele im zerstörbaren materiellen Körper jemals zerstört werden, sieht wirklich. Jemand, der sieht, dass die Überseele überall, in allen Lebewesen, in gleichem Masse gegenwärtig ist, erniedrigt sich nicht durch seinen Geist (Manah). So nähert er sich dem transzendenten Ziel.“
(Bg 13. 28-29)
 

Sri Bhagavan

 Mit Bhagavan oder Bhagavan-svayam, wird die in sich selbst gründende Quelle allen Seins bezeichnet. Sein Wesen ist unbegrenztes ewiges Sein (Sat), reine und vollkommene Erkenntnis (Cit) und unendlich wachsende Glückseligkeit (Ananda). Er ist gestalthaft (Vigraha) und der Ursprung aller unendlichen Füllen, die in seiner eigenen Kraft (Cit-Shakti) zum Ausdruck kommen. Er hat keinen direkten, unmittelbaren Bezug zu den Welten von Zeit und Raum. Bhagavan ist die urerste Ursache aller göttlichen und aller weltlichen Manifestationen. Er wird daher «höchstes Brahman», «Parabrahman», genannt.
 
Die vedischen Schriften sind kryptisch abgefasst. Trotzdem bezeichnen sie an vielen Stellen Sri Krishna, den Allanziehenden Herrn, ganz offen als diese ursprüngliche Form oder Gestalt Gottes, die urerste Ursache aller Ursachen:
 
„Es gibt viele Persönlichkeiten, welche die Eigenschaften Bhagavans besitzen, aber Krishna ist die Höchste, da ihn niemand übertreffen kann. Er ist der höchste Meister, und sein Körper ist ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit. Er ist der urerste Herr, Govinda, und er ist die Ursache aller Ursachen.“
(Bs 5.1)
 
„Ich verehre Govinda (Krishna), den urersten Herrn, dessen transzendente Gestalt voller Glückseligkeit, Wahrheit und ewigem Sein ist und daher den strahlendsten Glanz verbreitet. Jedes einzelne seiner transzendenten Körperglieder birgt sämtliche Funktionen aller anderen Organe und Sinne in sich, und er sieht, manifestiert und erhält ewiglich die unbegrenzte Zahl aller spirituellen und materiellen Universen.“
(Bs 5.32)
 
„Wahrlich, du allein kennst dich durch deine innere Energie, o höchste Person, Ursprung von allem, Herr aller Wesen, Gott der Götter, Herr des Universums!“
(Bg. 10.15; Gebet Arjunas an Krishna)
 
Im Schlusskapitel der Bhagavad-Gita, dem Gesang Gottes, wird die Erkenntnis des Brahman als das Verborgene, das Geheimnis (Guhya), die Erkenntnis des Paramatman als das noch Verborgenere, das größere Geheimnis (Guhyatara) und die volle Erkenntnis von Bhagavan-svayam Sri Krishna als das Verborgenste, das größte Geheimnis (Guhyatama), bezeichnet.
Alle drei Erscheinungsformen werden „Brahman“ genannt, weil sie alle aus der gleichen spirituellen „Substanz“ bestehen. Dennoch gibt es Unterschiede. Deshalb wird die Gestalt Krishnas als Parabrahman, das höchste Brahman, hervorgehoben.
Er selbst sagt:
 
„Ich weile im Herzen aller Lebewesen. Von mir kommt Erinnerung, Wissen und Vergessen. Durch alle Veden bin ich es, der zu erkennen ist. Ich bin der Erschaffer von Vedanta und ich allein bin der Kenner der Veden.“
(Bg 15.15)
 
An den Ufern des Ganges in Benares unterwies Chaitanya Mahaprabhu seinen Geweihten Sanatana Goswami:
 
„…Aus Gnade zum Jiva (dem in Materie gefangenen ewigen Lebewesen) hat Sri Krishna die Veden und Puranas offenbart. Er selbst gibt Kenntnis von sich selbst durch die Shastras (Schriften), den Guru und den Paramatman…“
(Cc 2.20.107-108 + 122-123)
 
Krishnadasa Kaviraja, der Autor des Chaitanya-Charitamrita, kennzeichnet das Wesen von Bhagavan-svayam mit folgender Strophe:
 
„Was die Upanishaden als gestaltloses Brahman beschreiben, ist wahrlich nur die Ausstrahlung seines Leibes. Der Purusha als Paramatman, als innerer Lenker, ist ein vollständiger Teilaspekt seiner Herrlichkeit, er (Chaitanya Mahaprabhu) ist Bhagavan-svayam, Sri Krishna selbst, mit allen sechs Reichtümern grenzenlos erfüllt. Er ist die absolute Wahrheit, und keine andere Wahrheit ist größer als er und nichts kommt ihm gleich.“
(Cc 1.1.3)
 
Auszug aus: Gaurangas Bhakti-Lehre; Seite 13 ff