Sexualität — Zweiter Teil

wartet auf Überarbeitung

Fragen zu Sexualität – 2. Beitrag

Namaste

Eins darf ich sagen, deine Beiträge geben immer wunderbare Gelegenheit, auf viele Aspekte eines bestimmten Themas näher einzugehen. 🙂

Du sagst:
> Sexualität wird in den Veden grundsätzlich nicht abgelehnt.
> Aber es wird als „Illusion“ bezeichnet.

Schön gesagt, aber wo liegt die Bedeutung dieser Aussage für den Vaishnava? Ich frage hier absichtlich in Bezug zum Vaishnava, da im Veda Mayavadas, Tantriker u.a. eben auch ihren Platz haben.

Der Vaishnava lehrt die Unterscheidung zwischen dem zeitweiligen Ich und Mein der körperlichen Existenz und der ewigen Existenz als spirituelles, persönliches Bewusstsein. In diesem Verständnis wird das Tun, das Denken und die Haltung des Lebewesens grundsätzlich zwei Pfaden zugewiesen: dem Pfad des shreyah, der auf die spirituelle Existenz ausgerichtet ist und zu ewigem Wohlbefinden führt, und dem Pfad des preyah, der auf das Wohlbefinden der zeitweiligen, weltlichen Existenz ausgerichtet ist.

Der Begriff Kama wird oft mit Sexualität übersetzt, beinhaltet allerdings weit umfassendere Bedeutungsebenen wie Verlangen, Begierde, den ungezügelten Wunsch nach den Dingen der Welt von Ich und Mein (Reichtum, Besitz, Ehre, Ansehen, Ruhm, Kinder usw.)

Derselbe Begriff Kama wird im Rigveda als die Kraft des Schöpfungsprozesses dargestellt, also nicht als negative Kraft, sondern als schöpferischer Impuls, der das Leben aller Wesen durchzieht. So stellst du richtig fest: Der Veda beschreibt Kama nicht als etwas grundsätzlich Schlechtes, sondern als eine der Schöpfung inhärente Kraft. Die Frage ist jedoch, worauf sich dieses Verlangen richtet: auf shreyah, was letztlich in der Erfahrung des unwandelbaren Bewusstseins gründet oder auf preyah, was dich an die zeitweilige Welt von Ich und Mein bindet. So geht das Bemühen des Bhaktas dahin, das Zweitweilige, Wandelbare in den Dienst des Ewigen zu stellen, damit das Zeitweilige seinen Sinn erfüllen kann, ohne dass dabei das Ewige verloren geht. Das wiederum ist ein schrittweiser Vorgang, bei dem Regeln und Regulierungen dem Lebewesen entsprechend seinem Wesen, der Zeit, dem Ort und den Umständen helfen sollen, sich immer mehr auf dem Pfad des shreyah zu bewegen.

Du schreibst:
>Chaitanya sagte einmal, jedermann könne auch mit Krishna
>Sex haben, und machte die Zeugung von Kindern nicht
>als Bedingung für diesen Sex.

Da drängt sich mir die Frage auf, was für Schriften du liest.
Schon lange vor Bhaktivedanta Swamis Zurückweisung solcher Auslegungungen, hatte auch Bhaktivinoda Thakura diese damals unter den Anhängern des Tantra verbreitete Idee, zurückgewiesen. Als Richter musste er sich in einem Fall sogar beruflich damit befassen, als ein angesehener Dorfbewohner unter der Flagge des Chaitanya Vaishnavatums Frauen und Männer des Dorfes zum gemeinsamen Rasatanz einlud und damit grossen Aufruhr verursachte. Diese Zurückweisung hat nichts mit Sexualfeindlichkeit zu tun. Sie ist lediglich dem Anspruch feindlich gesinnt, weltliche Sexualität auf die Ebene der raganuga-bhakti oder des manjari-sadhana zu erheben. Bhaktivinoda Thakura verurteilte solche Praktiken als der Religion widersprechend und unsozial.

Du schreibst weiter:
>Ich finde die Haltung von Praphuphad verantwortungslos,
>wenn man Sex haben will, man sich erst einmal verheiraten soll.
>Vor allem wenn man bedenkt, wie Ehen heute noch zustande
>kommen. Aus triebhaftigen Instinkt werden Kinder gezeugt
>und danach aus Tradition wird das Paar verheiratet nur
>weil das Kind unterwegs ist.

Damit beschreibst du nach meinem Empfinden exakt, wovor Bhaktivedanta Prabhupada warnte: „Lasst euch nicht allein aus triebhaften Instinkt leiten, und schlaft euch durch alle Betten der Wesen, die euch gefallen. Geht verantwortlich mit eurem Verlangen um, übernehmt Verantwortung für den Partner und für die Kinder.“ Natürlich ist die Heirat allein kein Garant dafür, dass dies dann auch geschieht. Aber vor dem Hintergrund seiner indischen Abstammung zu Beginn des 20. Jahrhunderts und seines Gesamtschaffens und Lehrens zweifle ich nicht daran, dass Bhaktivedanta Swami genau diese Verantwortung meinte, als er von Heirat sprach.

>Dabei können die Partner vom Karma her überhaupt
>nicht miteinander harmonieren.
>Daher halte ich voreheliche Erfahrungen für unbedingt sinnvoll.

Diese Theorie bezweifle ich nicht nur aufgrund einer Scheidungsrate von über 60 %. Es tönt zwar schön, doch in der Praxis halte ich einen anderen Aspekt für entscheidend: Den Aspekt des gemeinsamen Wachsens.

Du kannst Jahre mit jemandem zusammensein und dann heiraten. Dann kommen die Kinder und alles ändert sich – das wird dir jedes Elternpaar bestätigen. Allein die Tatsache, dass jeder sich ganz natürlich im Laufe seines Lebens verändert und Entwicklungen durchmacht, macht es notwendig, bereit für eine gemeinsame Auseinandersetzung in diesem Wandel zu sein. Ich denke, dass auch dies gemeint ist, wenn Bhaktivinoda Thakura von der Ehe als „einem Ort, wo man das Lieben lernt“ spricht. Folgender Text aus dem Vrinda-Yogakurs erläutert diesen Gedanken noch tiefer:
„Die Partnerschaft bietet weitere Gelegenheiten zum Lernen. Es ist für die meisten von uns ein grosses Opfer, seine persönlichen Wünsche im Interesse einer anderen Person zurückzustellen. Und gerade in diesem Punkt erweisen sich Familienbeziehungen als sehr anspruchsvoll. Begriffe wie Demut, Treue, gegenseitige Verantwortlichkeit und Rücksichtnahme, Vertrauen erhalten und schenken, Lieben und Verzeihen lernen, erhalten einen ganz konkreten Wert, da die einzelnen Familienmitglieder spürbar und direkt die Auswirkungen erfahren, welche in diesen Begriffen beinhaltet sind. Es sind nicht blosse moralische Werte, vielmehr ist darin eine Schulung beinhaltet. Wer jemandem die Treue hält, handelt zwar nach moralischen Regeln, gleichzeitig schult er sich jedoch auch in der Sinneskontrolle, indem er sich dem Diktat seiner Dränge und Lüste nicht unterwirft, sondern sie zu lenken lernt. Auch zu verzeihen ist mehr als ein blosser Akt zwischenmenschlichen Austausches. Es erfordert die Bereitschaft, dem anderen einen Teil von sich zu schenken, ohne dafür etwas zu erwarten. Es erfordert die Bereitschaft, uns und anderen die bedingungslose Erlaubnis zu geben, unvollkommen zu sein und ohne Verurteilung über Fehler hinwegzugehen. Es erfordert die Bereitschaft, persönliche Enttäuschungen und Verletzungen loszulassen, weil ein höheres Prinzip dies notwendig macht: das Prinzip der Liebe.“

>Aber auch in der Ehe ist keine ausschweifende Sexualität
>ratsam, was man aus Praphuphadas Worten schließen könnte,
>so daß man gewissermaßen dann einen Freibrief für Sexualität
>hätte.

Das könnte man meines Erachtens nur dann aus Bhaktivedanta Prabhupadas Worten schliessen, wenn man generell nur das von ihm lesen will, was die eigene diesbezügliche Meinung zu untermauern scheint.

>Die Schriften sagen, daß viele Menschen, die in der Ehe zügellose
>Sexualität praktizierten, in Krankenhäuser, Irrenanstalten,
>Nervenheilanstalten aus derartigen Gründen zu finden seien.

Schriften mögen es sein, aber was Quellschriften betrifft: da liest du nichts von Krankenhäusern, Irrenanstalten und Nervenheilanstalten, weil dies in der vedischen Kultur so nicht vorkommt.

>Wenn man das Horoskop von Praphuphada betrachtet,
>sieht man deutlich, weshalb er eine sexualfeindliche
>Einstellung hatte: Sein Saturn steht im Skorpionhaus,
>das verneint Sexualität.

Entschuldige bitte, aber jeder der irgendetwas von Astrologie versteht, weiss um deren grossen Interpretationsbedarf. Jemanden, und vor allem jemanden, den man nie persönlich getroffen hat, und den man offensichtlich auch sonst nicht so gut kennt, aufgrund irgendwelcher Sternkonstellationen bestimmte Eigenschaften fix zuzuschreiben, ist für mich ein Missbrauch der Astrologie.

Om shanti

Sacimata