Sexualität — Erster Teil

wartet auf Überarbeitung

Fragen zu Sexualität – Teil 1

Haribol liebe Freunde

Vor Jahren tauchte im Forum von krsna.de folgende Frage auf:

Hare Krishna!
Ich möchte das mal so in den Chatraum stellen, so wie ich Prabhupadas Aussagen verstanden habe, ist doch eine „unzulässige sexuelle Beziehung“, eine die nicht zum Zeugen von Kindern unterhalten wird.
Könnte bitte dazu jemand Textstellen für oder gegen dieses Verständnis bringen (ist mir halt selbst nicht ganz klar…).

Haribolo Michael

Ein zweiter Beitrag kam sogleich:

Haribol.
Ich kann leider nichts dazu sagen, aber diese Frage finde ich äußerst gut denn mich interessiert das genauso. Ich würde mich ebenfalls sehr über ein Klarstellen dieses Problems freuen!

Liebe Grüße
Nina

Hierauf schrieb Sacimata folgende Antwort:

Wer der Frage nachgeht, was Srila Prabhupada als erlaubte Sexualität bezeichnet hat, wird verschiedene Aussagen von ihm zu diesem Punkt finden. Einige davon umschreiben das Verständnis, das mir unter dem Begriff grihasta-brahmachari bekannt ist.

Erläuterung zu Srimad Bhagavatam 3.30.28:
„Materialistisches Leben beruht auf der Sexualität. Das Dasein aller materialistischen Menschen, die sich den schweren Prüfungen (dem Kummer) des Existenzkampfes unterziehen, beruht auf der Sexualität. Daher ist Sexualität in der vedischen Zivilisation nur beschränkt erlaubt, nämlich für das verheiratete Paar und nur um Kinder zu zeugen.“

Und Room Conversation, New York, 10. Juli 1976:
„Unter unerlaubter Sexualität wird jede sexuelle Betätigung verstanden, die nicht zur Fortpflanzung bestimmt ist. Sexualität ausserhalb der Ehe ist verboten. Verheiratete, Vollzeitgeweihte mögen einmal im Monat eine sexuelle Beziehung haben, zu einer für die Zeugung günstigen Zeit.“

Des Weiteren finden sich Aussagen, die das Prinzip des grihasta umschreiben.

Science of Self Realization, Kapitel 2:
„Frage: Wenn ich in Ihrer Bewegung eingeweiht werden möchte, was müsste ich tun?
Srila Prabupada: Zuallererst müssten sie die unerlaubte Sexualität aufgeben.
Frage: Schliesst dies jede Form von Sexualität mit ein? Was ist unerlaubte Sexualität?
Srila Prabhupada: Unerlaubte Sexualität ist Sexualität, die ausserhalb der Ehe stattfindet. Tiere können ohne Einschränkung Sexualität ausüben, doch in der menschlichen Gesellschaft gibt es Einschränkungen. In jedem Land und in jeder Religion existiert ein System der eingeschränkten Sexualität. (Dann werden die anderen Regulierungen, inkl. Tee, Kaffee etc. aufgezählt)…“

Transcendental Teaching of Prahlad, Kap. 3:
„Wenn jemand denkt: ‚Ich kann mich nicht vor den Angriffen mayas beschützen‘, dann soll er heiraten. Das ist vorgeschrieben. Wir haben keine unerlaubte Sexualität. Wenn du ein Mädchen begehrst, wenn du einen Jungen begehrst, dann heirate. Lebe im Krishna-Bewusstsein…“

Aus einem Vortrag von Srila Bhaktivedanta Prabhupada, Bhagavad-gita, 1966:
„Ich möchte sagen, wir missbilligen Sexualität nicht, doch wir missbilligen die unerlaubte Verbindung zwischen Männern und Frauen. Sexualität kann nicht missbilligt werden. Da du diesen Körper, den materiellen Körper, hast, ist der Wunsch nach Sexualität ein Bedürfnis (sex desire is a demand). Wir müssen es zufriedenstellen, sonst werden wir krank. So wie wir etwas essen müssen, wie wir eine bestimmte Zeit schlafen müssen, so ist auch Sexualität erforderlich. Doch die vedische Literatur kann euch nicht erlauben … – wenn man es mit dem Fortschritt im spirituellen Leben ernst meint, dann kann man keine unerlaubten Verbindungen ermutigen, nein. Ich empfehle all meinen jungen Studenten: ‚Verheiratet euch‘. Und kürzlich habe ich selbst eine Heiratszeremonie ausgeführt. Zwei meiner Schüler haben sich tatsächlich verheiratet. In dieser Weise missbilligen wir nicht, was unumgänglich ist, doch wir können keine unerlaubten Dinge erlauben. Dies wird vairagya genannt. Vairagya bedeutet, wir müssen unser Leben regulieren. Ohne dass man seinen Geist reguliert … – der Geist ist immer unruhig (agitated) und wenn wir süchtig nach all diesen Dingen sind, dann wird noch mehr Unruhe (agitation) kommen.“

Aus einem Vortrag von Srila Bhaktivedanta Prabhupada, Bhagavad-gita, 1971:
„Daher haben wir diese Einschränkung, dass niemand unerlaubte Sexualität ausüben darf … Sexualität ist unvermeidlich, doch in den Sastras gibt es dafür bereits eine Erlaubnis: ‚Du darfst Sexualität mit deiner religiös verheirateten Frau ausüben. In keiner anderen Weise.‘ Tatsächlich wird Sexualität, wenn man verheiratet ist, nicht gefordert, aber es ist wie eine Erlaubnis. Es ist die gleiche Sache, wie es auch keine Notwendigkeit gibt, Wein zu trinken. Aber diejenigen, welche diese Angewohnheit haben, die trinken wollen, für sie eröffnet die Regierung ein Alkoholgeschäft, das vielen Einschränkungen unterliegt.“

Aus einem Vortrag von Srila Bhaktivedanta Prabhupada, Bhagavad-gita, 1975:
„Das erste Prinzip ist die unerlaubte Sexualität. Das ist verboten. Sexualität ist nicht verboten, aber unerlaubte Sexualität ist verboten. Das ist nicht sehr schwierig. Jeder begehrt es. Das ist das Bedürfnis des Körpers, diese Sexualität. Wie wir essen wollen, wie wir schlafen wollen, in ähnlicher Weise gibt es den Wunsch nach Sexualität. Doch wenn du ein erstklassiger Mensch werden willst, dann übe keine unerlaubte Sexualität aus. Übe keine Sexualität aus, ausser du bist verheiratet. Daher gibt es in der menschlichen Gesellschaft die Heirat. Es gibt keine Heirat in der Gesellschaft der Hunde (dog society).“

Für mich wird aus diesen Aussagen deutlich, dass Srila Bhaktivedanta Prabhupada sowohl das Prinzip des grihasta-brahmachari als auch das Prinzip des grihasta als Modelle der regulierten Sexualität akzeptiert hat. Die unterschiedlichen – aber nicht gegensätzlichen – Unterweisungen sind nicht ungewöhnlich, im Gegenteil: sie sind charakteristisch für die vedische Kultur. Der Veda kennt nicht bloss EINE Religion für alle Menschen, er kennt nicht bloss EINE Ethik für alle Menschen, und er kennt auch nicht bloss EINE gültige Regel und Regulierung für alle Menschen. Gerade wenn es um Regeln und Regulierungen geht, findet sich sowohl in den Quellschriften, als auch den Kommentaren der Acharyas immer wieder der Hinweis: „Je nach Ort, Zeit, Umständen und der jeweiligen Person“. Das macht auch Sinn, denn Regeln und Regulierungen dienen ja keinem Selbstzweck, sondern haben lediglich eine bestimmte Funktion, nämlich dem menschlichen Individuum in seinem spirituellen Streben hilfreich zu sein. In Bezug zur Krishna-bhakti bedeutet dies: sie sind alle lediglich Hilfsmittel für die beiden Hauptregeln: immer an Krishna denken und Krishna nie vergessen.

Dieses Ideal zu verwirklichen ist ein allmählicher Prozess, ein Vorgang. Nicht jeder kann denselben Regeln folgen, weshalb Srila Bhaktivedanta Prabhupada bemerkte: „Man sollte nicht regulierenden Prinzipien folgen, ohne dass diese positive Auswirkungen zeitigen“. Diese Prinzip kommt nach meinem Dafürhalten auch immer wieder in seinem ganz praktischen Umgang mit seinen einzelnen Schülern zum Ausdruck.

Obwohl die Antwort auf die eingangs gestellte Frage für mich daher nicht in einem ausschliesslichen ja oder nein, sondern in einem sowohl als auch besteht, wirkt dieser Umstand auf mich klärend. Denn dadurch wird der für Ausbeutung und Verdrängung gleichermassen offene Raum zwischen der Sexualität als realem Bedürfnis und dem zölibatären (oder zumindest beinahe zölibatären) ideellen Verständnis der individuellen, inneren Loslösung, durch eine praxisnahe, vernünftige Auseinandersetzung gefüllt, die das Individuum mit in Einbetracht nimmt.

Om shanti

Sacimata