Kosmetik

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«Etwas Kosmetik betreibt jeder»

FACTS Das schweizer Nachrichtenmagazin Nr.9, 29. Februar 1996

Der Ethnologe Hans Peter Duerr findet es durchaus normal, dass Wissenschaftler irren, zumal es bei ihren Forschungen fast immer um Macht und Prestige geht.

FACTS: Sie haben im Sommer 1994 im nordfriesischen Wattenmeer angeblich die versunkene Stadt Rungholt gefunden. Viele Wissenschaftler glauben Ihnen kein Wort.
Hans Peter DuerrNa, das will ich aber auch hoffen! Hätten die Archäologen mich nach unseren Funden mit einem Blumenstrauss besucht und gesagt: «Toll, Herr Duerr, dass Sie uns Fachleuten gezeigt haben, wo’s langgeht!», dann hätte ich mich gefragt: «Was habe ich bloss falsch gemacht?» Wir leben in einer komplexen Gesellschaft mit einer Pluralität von Werten, Anschauungen und Meinungen, und da ist es selbstverständlich, dass diese Meinungen auseinandergehen.

FACTS: Sollten Sie sich getäuscht haben, sind sie in bester Gesellschaft: Viele Koryphäen der Ethnologie haben sich mindestens einmal kolossal geirrt. Margaret Mead auf Samoa, Eibl-Eibesfeldt beim Besuch der «Tasaday» auf den Philippinen…
DuerrSich zu irren ist die normalste Sache der Welt. Was erwartet man denn von den Ethnologen? Sind wir kleine Kinder, die glauben, dass Papi und Mami immer recht haben, und dann schmollen, wenn sie herausfinden, dass das nicht so ist?

FACTS: Gibt es keine verbindlichen Kriterien, mit denen die Spreu vom Weizen getrennt werden kann?
DuerrBei den meisten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen geht es primär nicht um die Wahrheit, sondern um Macht und Prestige. Als ich die Zivilisationstheorie von Norbert Elias in Frage gestellt habe, ist mit klar geworden, was es bedeutet, ein Interpretationskartell anzugreifen, Leuten ein Meinungsmonopol streitig zu machen. Da verwandeln sich ganz plötzlich scheinbar triebkontrollierte Berufsdenker in Machtpolitiker, die selbst die unsaubersten Mittel benutzen, um ihre Herrschaft zu erhalten.

FACTS: Der Ethnologe Koepping schreibt, die Ethnologie könne wie jede andere Wissenschaft ihre Inauthentizität nicht verleugnen. Gibt es vorurteilsloses Beobachten ohne kulturelle Brille?
DuerrDass wir notwendigerweise eine kulturelle Brille aufhaben, ist eine Binsenwahrheit wie die, dass man Augen haben muss, um sehen zu können. Natürlich ist der Augenschein trügerisch – aber deswegen können wir nicht auf die Augen verzichten. Man kann einem Ethnologen nicht Ethnozentrismus vorwerfen, wenn er über die Eingeborenen des Takatuka-Landes auf deutsch schreibt. Wie soll er denn sonst schreiben? Französisch?

FACTS: Also gibt es gar keine Ethnologie, in der die Dinge nicht unter einem bestimmten Blickwinkel betrachtet werden?
DuerrEs gibt Gelehrte, die der Überzeugung sind, sie hätten keine bestimmte «Perspektive», vielmehr seien ihre Erkenntnisse in hohem Masse «wirklichkeitskongruent». Solche Überzeugungen sind Ausdruck eines bedauerlichen Mangels an Demut.

FACTS: Welche Funktion hat der Irrtum?
DuerrManche Irrtümer sind so fruchtbar, dass sich hinter ihnen tausend Wahrheiten verstecken können. Aber viele Wissenschaftler irren sich nie. Das liegt daran, dass sie nie etwas sagen.

FACTS: Was bringt jemanden dazu, ethnologische Befunde oder Geschichte zu fälschen?
DuerrWissenschaftler lügen und betrügen auch nicht häufiger als zum Beispiel Winzer oder Hersteller von Wurstwaren. Ein Unterschied ist vielleicht der, dass viele Wissenschaftler sich zu sehr als Gesamtperson mit ihrer Tätigkeit identifizieren. Ich kenne gelehrte Herren, die morgens vor dem Spiegel zu sich sagen: «Guten Morgen, Herr Professor!» Geht solchen Leuten nun ihr wissenschaftliches Spielzeug kaputt, dann sagen sie nicht: «Na ja, vielleicht bin ich ein lausiger Wissenschaftler, aber ich bin und bleibe ein guter Liebhaber!» vielmehr haben sie dann Angst davor, gar nichts mehr zu sein. Und um das zu verhindern, zerren und schieben und lügen sie ein wenig…

FACTS: Zerren und schieben die meisten Ethnologen ein wenig?
DuerrNa ja, ein bisschen Kosmetik wird jeder betreiben. Aber soweit wie Turnbull gehen die meisten gewiss nicht. Sonst würden sie ihre Bücher viel besser verkaufen.

FACTS: Sie verkaufen Ihre Bücher sehr gut.
DuerrSehr zum Verdruss meiner Kritiker, die deshalb die Leser als «Dummköpfe» beschimpfen. So etwas sollten sie nicht tun. Sonst verkaufen sie von ihren Büchern das nächste Mal nur zwei statt siebzehn Exemplaren.

Mehr zum Thema:

Betrug und Fälschung in der Wissenschaft (Wikipedia)